Wenn eine BU-Rente abgelehnt wird, liegt das immer häufiger daran, dass die Versicherten ihren Antrag nicht weiterverfolgen, weil sie sich überfordert fühlen. Eine Entwicklung, die mit Sorge zu beobachten ist.
Ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen zeigt eine besorgniserregende Tendenz: Rund 40 Prozent der abgelehnten Anträge auf Berufsunfähigkeitsrente (BU) werden nicht weiterverfolgt, weil die Versicherten den Kontakt mit ihrem Versicherer abbrechen. Dies ist ein Trend, der in den letzten Jahren zugenommen hat und Anlass zur Besorgnis gibt.
Die Komplexität der BU-Antragsstellung
Die Beantragung eines BU-Leistungsfalls ist eine komplexe Angelegenheit. Viele Versicherte sind weder medizinisch noch juristisch geschult, um die erforderlichen Nachweise und Zusammenhänge korrekt darzulegen. Der Aufwand, relevante Unterlagen wie Arztberichte zu beschaffen, trifft Betroffene zudem in einer ohnehin belastenden Lebensphase, was den Prozess zusätzlich erschwert.
Psychische Belastungen als zusätzliche Hürde
Gerade für Menschen, die unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden, kann die Auseinandersetzung mit einem aufwendigen Antragsprozess zur unüberwindbaren Hürde werden. Die emotionale Belastung, verbunden mit der Notwendigkeit, immer wieder dieselben Informationen bereitzustellen, führt oft dazu, dass der Kontakt zum Versicherer abgebrochen wird. Ständige Nachfragen und die Notwendigkeit medizinischer Gutachten belasten die Antragsteller zusätzlich.
Warum anwaltliche Unterstützung entscheidend ist
In dieser Situation kann professionelle Unterstützung entscheidend sein. Eine rechtliche Begleitung hilft, den Antragsprozess zu strukturieren, Fristen einzuhalten und die Kommunikation mit der Versicherung effizient zu gestalten. Dies reduziert nicht nur den emotionalen Stress, sondern erhöht auch die Erfolgschancen erheblich.
Stellen Sie sich vor, Sie haben jahrelang in Ihrem Beruf gearbeitet, geben jeden Tag Ihr Bestes und müssen dann aufgrund einer unerwarteten gesundheitlichen Beeinträchtigung feststellen, dass Sie Ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben können. In einer solchen Situation verlassen sich viele auf ihre Berufsunfähigkeitsversicherung. Doch was passiert, wenn ein Gericht Ihren Anspruch auf diese Versicherung ablehnt, weil es formale Anforderungen überstrapaziert? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem wegweisenden Beschluss klargestellt, dass ein solches Vorgehen eine Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten rechtlichen Gehörs darstellt. Dies ist ein entscheidender Sieg für die Rechte der Versicherten und ein Weckruf an die Justiz, den Fokus auf eine faire und gründliche Beweiswürdigung zu legen.
Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29. Mai 2024 (IV ZR 189/23, BeckRS 2024, 14064) ist von großer Bedeutung für die Versicherten, insbesondere im Kontext der Berufsunfähigkeitsversicherungen. In diesem Beschluss stellte der BGH fest, dass ein Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn es eine Klage mit der Begründung abweist, der Kläger habe nicht hinreichend bewiesen, dass die in der Klageschrift dargestellte typische Arbeitswoche der Versicherten entsprochen habe, ohne zu prüfen, ob durch die Aussagen einer Zeugin ein Tätigkeitsbild bewiesen werden kann.
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG): Der BGH betonte, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel unberücksichtigt bleiben. In diesem Fall hatte das Gericht die Aussagen einer Zeugin ignoriert, die ein Tätigkeitsbild der Versicherten hätte liefern können.
Beweispflicht des Klägers: Der Kläger hatte in der Klageschrift eine Anlage beigefügt, die eine typische Arbeitswoche darstellte. Das Gericht wies die Klage ab, da es der Meinung war, der Kläger habe nicht ausreichend bewiesen, dass diese Darstellung einer typischen Arbeitswoche der Realität entsprochen habe.
Bedeutung von Zeugenaussagen: Der BGH kritisierte das Gericht dafür, dass es nicht erwogen hatte, ob durch die Aussagen einer Zeugin ein Tätigkeitsbild bewiesen werden kann, das als Grundlage für ein medizinisches Gutachten dienen könnte. Diese Unterlassung stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
Berufsunfähigkeitsversicherungen sind für viele Menschen eine wichtige Absicherung gegen den Verlust der Arbeitskraft. Die Bedingungen für den Leistungsfall sind oft komplex und erfordern eine detaillierte Prüfung der individuellen beruflichen Tätigkeit und deren gesundheitliche Beeinträchtigung. Die Entscheidung des BGH macht deutlich, dass Gerichte in solchen Fällen verpflichtet sind, alle relevanten Beweise und Zeugenaussagen umfassend zu berücksichtigen.
Mehrdimensionale Betrachtung:
Versicherungsrechtliche Dimension: Versicherungen sind verpflichtet, bei der Bewertung von Berufsunfähigkeitsansprüchen eine sorgfältige und umfassende Prüfung der eingereichten Beweismittel vorzunehmen. Der BGH stärkt durch seine Entscheidung die Rechte der Versicherten, indem er klarstellt, dass formale Anforderungen nicht überstrapaziert werden dürfen.
Medizinisch-gutachterliche Dimension: Medizinische Gutachten spielen eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Berufsunfähigkeit. Ein Tätigkeitsbild, das durch Zeugenaussagen unterstützt wird, kann wertvolle Informationen für die Gutachtenerstellung liefern. Die Entscheidung des BGH betont die Bedeutung solcher Beweismittel.
Rechtsstaatliche Dimension: Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaats. Gerichte müssen sicherstellen, dass alle relevanten Beweise und Aussagen in die Entscheidungsfindung einfließen. Diese Entscheidung des BGH unterstreicht die Wichtigkeit dieser Verpflichtung.
Der Beschluss des BGH ist ein starkes Signal für die Rechte der Versicherten und die Sorgfaltspflicht der Gerichte. Er erinnert daran, dass der formale Nachweis einer typischen Arbeitswoche nicht das einzige Mittel ist, um einen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsleistungen zu begründen. Zeugenaussagen und andere Beweismittel müssen sorgfältig geprüft und berücksichtigt werden. Diese Entscheidung stärkt den Rechtsschutz der Versicherten und trägt zu einer gerechteren und ausgewogeneren Rechtsprechung im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherungen bei.
Der ungleiche Kampf: Wenn die BU-Versicherung nicht zahlt
Die story: Der ungleiche Kampf: Wenn die Versicherung nicht zahlt | ARD Mediathek
Rechtsanwalt Peter Dörrenbächer
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